Fangesänge bei der EM: Diametrale Gänsehaut
Lars Bender ist schuld. Dank seines Tores in der 80. Minute zum 2:1 der Deutschen Nationalmannschaft gegen die Dänen standen am Ende erneut drei Punkte auf dem Konto der Jogi-Elf. Und 13.000 Deutsche Fans fiel mal wieder nichts besseres ein, als im monotonen Sprechchor “Sieg” zu rufen.
Gänsehaut wie wir sie nicht mögen
Abgesehen davon, dass der Schlachtruf nicht besonders kreativ ist, so ruft er doch bei vielen Zuhörern ein Schaudern hervor. Wenn aus tausenden von Kehlen gepaart mit rhytmischen Klatschen eine Geräuschkulisse ertönt, dann fühlen sich viele an Massenveranstaltungen in faschistischen Diktaturen erinnert. Wenn das Ganze dann aber noch in Ländern wie der Ukraine und bald – so ist zu befürchten – Polen angestimmt wird, so wird der Fangesang nicht nur unheimlich, sondern vor allem peinlich. “Habt Ihr nicht einen Hauch von Fingerspitzengefühl?” möchte man den Besuchern in weißen Trikots mit Bundesadler auf der Brust zurufen. Doch die Frage erübrigt sich, die Antwort ist ein klares “Nein”. Aber zumindest der DFB bzw. der “Fanclub Deutsche Nationalmannschaft” sollten hier Stellung beziehen und darauf hinwirken, dass solch doppeldeutige Lieder nicht gesungen werden – erst recht nicht in Länder, die im Dritten Reich unter der Deutschen NS-Herrschaft leiden mussten.
Gänsehaut wie wir sie lieben
Dass es viel schöner geht – und vor allem viel kreativer – das haben die Irischen Fans mal wieder unter Beweis gestellt. Trotz einer Bilanz von 0 Spielen und 1:9 Toren nach den drei Gruppenspielen feierten sie ihre Mannschaft nach jedem Spiel enthusiastisch und zollten dem gezeigten Einsatz Respekt. Bis zu 30.000 Iren hatten sich auf den Weg zu den Spielorten ihrer Mannschaft gemacht, auch wenn mindestens ein Drittel von Ihnen gar keine Eintrittskarte zum Spiel hatte. Friedlich gefeiert in den Städten – und in den Fankurven der Stadien den bislang größten Chor aller Fangruppierungen erzeugt. Es war einer DER Gänsehautmomente dieser EM, als direkt nach der deftigen 0:4-Niederlage der Mannschaft von der Insel gegen die Spanier die mitgereisten Fans das Irische Volkslied “Fields of Athenry” anstimmten:
Damit haben die Iren unter Beweis gestellt: sie sind nicht nur kreative und können besser singen als die Deutschen Fans, sie haben vor allem auch deutlich mehr Fingerspitzengefühl.
Danke, Irland, für diesen Moment.
Mit deutschen Volksliedern ist das ja immer so eine Sache für sich – der Musikantenstadl lässt grüßen. Ein perfektes Spiegelbild zu dieser Kultur liefert der peinliche “Waldis WM-Club”.
Was ist an Fields of Athenry kreativ? Wäre es kreativ, hätten die Deutschen Wacht am Rhein gesungen? Oder wär das wieder Hitler gewesen? Was ein affiger, unnötiger Beitrag. Das “Sieg” ist einer der besten Schlachtrufe, die dieses unsere Land hat, und wird auch in Buli und Europaspielen genutzt. Fühlst du dich nicht an faschistische Großveranstaltungen erinnert, wenn die Iren unisono ihr Lied singen? Sind ja schliesslich auch viele…
@ Guy:
Das faschistische kommt weniger durch die Masse der Singenden zustande, sondern durch das, was und wie es gesungen wird. Und vor allem geht es darum, dass man diesen Schlachtruf erst recht nicht in Polen und der Úkraine bringen sollte, soviel zum Fingerspitzengefühl.
Übrigens, wenn “Sieg” tatsächlich einer der besten Fangesänge in Deutschland wäre, dann wäre es um die hiesige Fankultur schlecht bestellt. Aber ich bin davon überzeugt, dass das nicht so ist und es diverse cleverer und kreativere Anfeuerungsrufe gibt.
@guy
Punkt 1: Schon mal was von Netiquette gehört? Hilft ungemein beim virtuellen kommunizieren.
Punkt 2: “Sieg” ist nunmal auch einer der am meisten vorbelasteten “Schlachtrufe” (danke für diese freudsche Wortwahl), die dieses Land hat. “Dieses Land” ist übrigens immer noch jenes, ganz im Gegensatz zu Irland, welches faschistische Großveranstaltungen erfunden und perfektioniert hat. Das würde es nicht besser machen, wenn die irischen Fans problematische Konnotationen mit ihren Gesängen hervorrufen würden, aber zumindest sollte jede/r Deutsche da schlicht besonders vorsichtig sein.
Punkt 3: Insbesondere gilt Punkt 2 natürlich, wenn man sich mal genau anschaut, welche (zugegebenermaßen noch recht gemischten) Gesellen in Buli und Europaspielen das “Sieg”-Gesinge initiieren und vor allen Dingen welche eher tumben (und dann auch schon deutlich gleichartigeren) Gesellen das dann noch mit dem unsäglichen “heja” garnieren. Ergibt: “Sieg heja.” Ein Schelm wer da Böses denkt, ich weiß.
Tim:
Es ist defacto um die Fankultur zur N11 sauschlecht bestellt. Kann man u.A. der Krüppelgeburt “Fanclub Nationalmannschaft” verdanken.
Was sind denn die cleveren, kreativen Alternativen, die man in einem Stadion voller Leute die sich im Gegensatz zu Buli-Fanszenen nichz kennen, durchbringen kann? Es schwant mir, dass du nicht so oft in bundesdeutschen Stadien anzutreffen bist 😉
Flo:
1.Nettiquette brauch ich nicht. Das der Beitrag affig und unnötig ist, sollte gesagt werden dürfen und auch gesagt werden.
2. “Dieses Land” hat faschistische Grossveranstaltungen nicht erfunden, nichtmal den Faschismus selber. Perfektioniert wohl schon. Das Land ist in Irland übrigens bekannt für seine vielen abgeänderten Versionen, die hauptsächlich dazu dienen, das Ende der englischen Besatzung herbeizusingen. Problematische Konnotationen sind also da (vgl mit den Terrorproblemen im UK), aber das tut wirklich nix zur Sache. Weil Sport eben dazu da ist, solche Sachen zu überwinden. Hat sich eigentlich irgendjemand in Polen oder der Ukraine vom “klatschklatschklatsch SIEG” angegriffen gefühlt? Nix von mitbekommen. Die Mopperer sind wohl alles Deutsche…
3. Sieg Heja? Aus welcher Fanszene hast du das denn? Ich hab das in noch keinem BuliStadion gehört, und ich war in fast allen Stadien der aktuellen Buli….
Also das auf Kommando gebrüllte “klatschklatschklatsch – SIEG” ist schon verdammt nah dran am “SIEG … HEIL” der Nürnberger Parteitage, was jedem sofort einleuchten muss, der mal eine Tonaufnahme davon gehört hat. Grund genug, den “Schlachtruf” (wirklich sehr schön) zu begraben. Unkreativ ist er sowieso und es wäre auch deshalb überhaupt kein Verlust.
Niemand will Gänsehaut bei braunen Seelen in ihren jämmerlichen Lonsdale-Klamotten, sicher auch du nicht, Guy.
Nein. Ich hätte das braune Gesocks gerne wieder zurück unter den Steinen, unter denen sie immer wieder gerne hervorlugen. Der Begriff Schlachtruf ist in der Fanszene und im Fussballvokabular, dass euer Wortspiel damit leider auch beim zweiten mal nicht durchzieht. 😉
Aber bitte, es bleibt meine Frage, was ist denn im Dunstkreis der N11 an Fangesängen kreativ? “SCHLAAAAND, SCHLAAAAAND, SCHLAAAAAAND” ? Es geht und ging nie um Kreativität, sondern darum, dass möglichst viele mitziehen, es bereits kennen, oder es nach einmal hören mitmachen können. Und mal im Ernst, ein (im Übrigen lang nicht nur bei den Parteitagen genutztes):
Zampano: “SIIIIIEEEEEG….”
Masse : “HEIL!”
hat ja dann doch nur entfernt, eigentlich ja nur in der Tatsache, dass viele Leute das Wort Sieg brüllen, mit dem heutigen Schlachtruf zu tun. Und da zwanghaft einen Bezug herzustellen, der dann ab und an von vereinzelten Idioten untermauert wird, ist einfach obsolet. Genauso wie das Festhalten an gestrigen Szenemerkmalen wie Lonsdale, eine Marke, die längst auch im unpolitschen Mainstream angekommen ist.
Meine persönliche Meinung zu deinem Satz “Unkreativ ist er sowieso und es wäre auch deshalb überhaupt kein Verlust.” ist übrigens, dass man das ganze jämmerliche “Deutschland Fan” drumherum um die N11 abschaffen könnte. Wär nämlich wirklich kein Verlust. Aber sicher auch kein Grund daraus ein Politikum zu machen 😉
Da stimme ich Dir zu, Guy, das Konstrukt “Deutschland Fan” ist in der Tat überflüssig. Jedenfalls solange sich die Fankultur dadurch nicht bessert.
Lassen wir mal die Tatsache außen vor, dass monotones “Sieg” rufen nicht besonders kreativ ist, und unterstellen wir sogar mal den unwahrscheinlichen Fall, dass es unter den 13.000, die das brüllen, keiner mit politischen Ambitionen tut, selbst dann ist es in Polen und der Ukraine einfach fehl am Platz! Denn dass selbst dort das Wort verstanden und sicher nicht mit positiven Erinnerungen belegt ist, darüber gibt es keinen Zweifel.
Im Übrigen sollte es keine Entschuldigung sein, wenn “es nun doch einfach mal nichts besseres gibt”, auf das man Fans aus unterschiedlichen Vereinen als kleinsten gemeinsamen Nenner einschwören kann. In diesem Fall gilt der alte, schöne Satz: Wenn man nichts zu sagen hat, dann einfach lieber ganz die Klappe halten.
Dieses zwanghafte herstellen von Bezügen zur Nazi-Vergangenheit ist einfach nur lästig. Diskutiert darüber, aber macht das Thema nicht größer als es. Wenn ich im Stadion “Sieg” rufe, heißt das mit Sicherheit nicht, dass ich Polen oder die Ukraine zurück erobern will oder die geistesgestörten und kranken Taten eines Mannes beschönigen möchte, sondern das ich die N11 unterstützen möchte und sie zum Sieg schreien will. So geht es wohl der Mehrheit der Fans bei dieser EM. Da sich darunter mit Sicherheit einige Leute mit einem nicht einwandfreien politischen Hintergrund befinden, ist wohl auch jedem klar, den Ausruf dadurch jedoch gleich zu stigmatisieren ist wohl der falsche Weg. Denn dann könnte man dich gleich alles in Frage stellen, so zum Beispiel, ob es überhaupt ethisch und moralisch vertretbar ist, eine deutsche Nationalelf in Danzig um den “Einzug” ins Halbfinale nach Warschau spielen zu lassen, was zweifelsfrei nur mit einem “Sieg” möglich ist.
Also diskutiert lieber die wichtigen Themen der Gesellschaft, wie zum Beispiel die “Nationalbefreiten Zonen” im Osten oder den täglichen Kampf der aufrichtigen Menschen in Ostdeutschen Städten und Gemeinden, die versuchen sich gegen die Neonazibewegung zu stellen.
Achja, bestimmt findet ihr auch die Beflaggung der Autos und Häuser mit der Deutschlandfahne als befremdlich, denn so könnten ja nationalistische Gefühle geweckt werden, die unweigerlich in einer erneuten Katastrophe enden werden.
Also Ball flach halten und andere Meinungen akzeptieren, denn jemand Mundtod machen zu wollen ist nicht gerade sehr demokratisch.
@ Martin:
Ich stimme Dir zu, es gibt sicher wichtigere Themen – und einige davon hast Du ja auch schon genannt. Insofern sollten wir die Diskussion hier vielleicht auch gut sein lassen.
“Mundtod” wurde hier übrigens keiner gemacht, andere Meinungen werden akzeptiert (solange sie rechtlich okay sind). Aber gleiches trifft eben auch auf den Artikel zu: er ist kein Schwachsinn, sondern eine Haltung, die offenkundig von anderen Menschen geteilt wird.
hierzu auch von meiner seite: andere meinungen sind absolut willkommen, und kritik an beiträgen ist sowieso immer gewünscht. nur: sie darf ruhig freundlich und konstruktiv sein. ansonsten kann auch ich nur noch beisteuern, dass man sich manchmal in einer demokratie schlicht einigen muss, dass man sich nicht einigen wird. ist ja auch das schöne an dieser staatsform.
jaja!!!! die tollen “friedlichen” iren, von denen die ersten berichte über “ausschreitungen” kamen 😉 (muss ich mal suchen). aber richtig, viel spass hams gmacht die (irren) iren
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Meine Lieblingslieder der deutschen Nationalmannschaft sind:
“Steht auf, wenn ihr Deutsche seid”
“Schwarz, rot, gold, wie lieb ich Dich”
und, last but not least,
“Deutschland ist der geilste Club der Welt”
Achja, und der Gassenhauer von den Lokalmatadoren darf auch nicht fehlen:
“Deutschland, Ficken, Alkohol” 😉
@ Felix: Sehr schön. Damit gewinnt man zwar keine Pulitzerpreis, muss man aber ja auch nicht.
Allerdings sollte es nach meiner Auffassung “Steht auf, wenn Ihr FÜR Deutschland seid” heißen. Denn ob ein Fann der Nationalmannschaft Deutscher, Grönländer oder Canadier ist, sollte egal sein.
Allmählich macht ihr Gutmenschen (jaja, nun meckert ihr wegen dieses Wortes, weil das von den Nazis erfunden wurde – stimmt nicht, das Wort ist schon aus dem 18. Jahrhundert belegt) euch echt zum Affen.
Ihr versucht bei jedem Schwachsinn irgendwo Rassismus oder den ach so bösen Nationalismus (warum eigentlich böse? Die Schweiz wird seit 400 Jahren nationalistisch regiert und führt trotzdem nie einen Krieg) zu erkennen – und wenn ihr nix findet, dann vergleicht ihr das freudige „Sieg, Sieg!“ bei Fußballfans nach einem Sieg (ja, so heißt das!) mit dem „Sieg heil“ von früher.
Also mal ehrlich, überlegt euch was besseres, das wird mittlerweile lächerlich.
Im übrigen kupfern diese Blogs das schön voneinander ab, ein Blog berichtet darüber (als erstes war es wohl der ohnehin populistische Blog der Publikative) und jeder macht mit, ohne neue Argumente zu bringen, wiederholt immer nur die Sieg-heil-Vorwürfe des Vorgängers.
Unglaublich, was aus Deutschland geworden ist… Bei mir in den Niederlanden lachen die Leute darüber und rollen die Augen, wenn ich erzähle, dass in Deutschland einige Linke über „Sieg“ meckern.
@Yan:
Der Leitartikel der SZ von gestern dürfte auch in deinem Sinne sein:
http://www.sueddeutsche.de/politik/schwarz-rot-gold-und-die-em-ueber-das-wir-gefuehl-der-deutschen-1.1395596
Und trotzdem trifft er eine sehr klare Aussage zu den “Sieg”-Rufen. Lies dir den Artikel mal durch und denk noch einmal drüber nach. Was diese Rufe angeht, ist es nicht die Ansicht “einiger Linker”.
@Felix: Die Lokalen wären jedenfalls die perfekte Besetzung für neue Gesänge – Herz aus Jold
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